Im September 2018 formierte sich “Tabakfabrik - wir reden mit”, nachdem die Informationen, die den Anrainern zum Quadrill-Neubau geboten wurden, unzureichend waren. Die Befürchtungen, als unmittelbar Betroffene unzumutbaren Emissionen und Immissionen ausgesetzt und im weiteren Verlauf der Planungen nicht ernst genommen bzw. übergangen zu werden, waren berechtigterweise groß und haben sich bestätigt. “Heute - drei Jahre später - reichen wir eine Beschwerde gegen den erteilten Baubescheid ein. Darin fordern wir ein UVP-Verfahren und sehen den maßgeschneiderten Bebauungsplan des Mega-Projektes als gesetzes- und verfassungswidrig an.” so Brita Piovesan, Sprecherin der Anrainer:innen.
Anrainertreffen und einzige öffentliche Ausstellung der Quadrill Pläne, im Durchgang der Ludlgasse, Oktober 2020
Die Dimension des Projekts und der Tiefgarage sprengen jeden Rahmen und widersprechen den städtischen Zielsetzungen. “Das Projekt hängt essentiell am Auto, der Bauplatz wird 100-prozentig ausgenutzt, um 710 Autos unterzubringen. Daher ist der Standort offenbar für eine derartige hohe Dichte nicht geeignet.” Das hat zur Folge, dass bei diesem Projekt und diesem Bebauungsplan wesentliche öffentliche Interessen auf der Strecke bleiben. Diese sind z.B. die Fortsetzung der Allee der Gruberstraße (stattdessen wurden 4 alte, stadtklimatisch wertvolle Bäume gefällt), eine Verkehrsberuhigung des Umfeldes (insbesondere der Ludlgasse), eine wesentliche Verbesserung der Fuß- und Radwege (attraktiv und sicher) und ein ausreichende Wurzelräume und Erdkoffer (Stichwort Schwammstadt) für die Ersatzpflanzungen.
Maßgeschneiderter Bebauungsplan und offensichtlicher Interessenkonflikt der Stadt
Mit diesem Bebauungsplan wird aber auch grundsätzlich ein negatives Exempel statuiert. Und genau diese negative Vorbildwirkung erscheint der Bürgerinitiative “Tabafabrik - wir reden mit” im Sinne der nachhaltigen Stadtentwicklung, der Klimaziele und des Gleichheitsprinzips als ein inakzeptables Problem. Konkret könnte dieses Bauwerk zu anderen willkürlich gesetzten Hochhäusern führen.
Abgesehen davon, gibt es offensichtlich einen Interessenkonflikt: die Stadt Linz ist Grundeigentümerin und Behörde zugleich. Sie verpachtet das Grundstück und ist daher an möglichst hohen Einnahmen interessiert. Gleichzeitig ist sie als Behörde für die hier massiv nötigen Änderungen des Bebauungs- und Flächenwidmungsplans zuständig. So profitiert sie direkt von der mehrfach erhöhten Dichte und vernachlässigt damit das öffentliche Interesse. Der konkrete Schaden aus diesem Interessenkonflikt ist:
eine für das Kaplanhofviertel viel zu hohe Dichte (das Projekt ist über Nacht von 84m auf 109m angewachsen, trotz Verlust der Neuen Schienenachse Linz),
noch viel mehr Stau (das Projekt ist ein Automagnet durch eine riesige Tiefgarage und mega Büroflächen…) und
das Fehlen qualitativer Grünräume (durch Ausreizen der gesetzlichen Möglichkeiten).
Insgesamt ziehen sich die fehlenden Begründungen und unglaubwürdige Textbausteine wie ein roter Faden durch die gesamte Projektbeschreibung. Die Fachwelt bestätigt den Eindruck eines auf die Investoren zugeschneiderten Bebauungsplans.
Landesverwaltungsgericht OÖ ist jetzt am Zug
Bei der Bauverhandlung am 21. Oktober 2021 nahmen, die Anrainer:innen der Ludlgasse, schließlich von ihrem Recht Gebrauch, Einwände in Bezug auf das Bauverfahren und den Bebauungsplan des Großprojektes vorzubringen und geltend zu machen. Der Baubescheid wurde im Schnellverfahren erteilt. Dagegen reichten im Dezember 2021 elf Anrainer:innen Beschwerde ein. Nun prüft das Landesverwaltungsgericht OÖ als übergeordnete Instanz den “Fall”. Die Gruppe wartet noch auf die Stellungnahme.
UPDATE 27.1.2023: noch im September 2022 leitet das Land OÖ Ermittlungen als UVP-Behörde von Amts wegen Ermittlungen ein und dass die Nachbarn keine Antragslegitimation für eine Feststellung gemäß § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 haben.
Die Ermittlungen des Landes ergeben: "Die rechtliche Schlussfolgerung des Magistrats der Landeshauptstadt Linz – dass keine UVP- Pflicht gegeben ist – ist aus Sicht der Oö. Landesregierung als UVP-Behörde korrekt. Aus diesem Grund wird die Oö. Landesregierung als UVP-Behörde auf Grundlage des vorliegenden Ermittlungsverfahrens kein Feststellungsverfahren zur UVP-Pflicht von Amts wegen einleiten."
Für die Bürgerinitiative ist der Beschluss nicht nachvollziehbar, und bezieht dazu erneut Stellung. Diese Stellungnahme scheint im Richterbeschluss der am 16.1.2023 ergeht nicht mehr berücksichtigt zu sein.
Nachhaltige Verkehrsberuhigung bleibt das Ziel
Nach wie vor ist das Ziel der Anrainer:innen das gesamte Kaplanhofviertel und insbesondere die Ludlgasse vor großem Schaden durch den Neubau zu bewahren und zu einem verkehrsberuhigten, klimaverträglichen Wohnviertel für junge Familien zu machen. So soll die Weiterentwicklung der Tabakfabrik mit einem zukunftsorientierten, nachhaltigen und nachbarschaftsverträglichen Verkehrs- und Mobilitätskonzept und der ausgerufenen Klimahauptstadt Linz in Einklang gebracht werden.
Einige Medienberichte seit 2018:
Landesverwaltungsgericht sieht keine UVP-Pflicht, (bezirksrundschau.at), 17.1.2023
Tabakfabrik-Anrainer beeinspruchen Großprojekt (Bezirksrundschau online) , 17.1.2022
Quadrill: Beschwerde gegen Baubescheid (OÖN online), 17.1.2022
Tabakfabrik-Anrainer kündigen juristische Schritte an (Bezirksrundschau online), 25.10.2021
"Neue Ausfahrt und Lkw-Fahrverbot wären schon ein großer Erfolg" (OÖN online), 18.10.2021
Anrainerinitiative nimmt Baumpflanzungen selbst in die Hand (Bezirksrundschau online), 9.6.2021
Anrainer sammeln Ideen für die Ludlgasse (Bezirksrundschau online), 25.5.2021
„Wir wollen keine Mini-Bäumchen, sondern echten Ersatz“ (tips online), 11.3.2021
Ruf nach Begegnungszone für das Kaplanhofviertel (tips online), 28.1.2021
Tabakfabrik: Grünes Licht für Neubau 3 (tips online), 12.1.2021
7.3.2023, Tips.at: Quadrill: Bürgerinitiative zieht vor Verfassungsgerichtshof
7.3.2023. meinbezirk.at: Bürgerinitiative bringt Anliegen bei Verfassungsgerichtshof ein
6.2.2023, OÖN: Tabakfabrik-Anrainer ziehen vor den Verfassungsgerichtshof
Chronologie der Bürgerinitiative:
September 2018: Gründung (Brita und Andreas Piovesan)
Oktober 2018: Treffen in der Tabakfabrik mit über 100 Interessierten
November 2018: Erste Gespräche mit dem Bürgermeister und Vertretern der Stadt
Linz - Vorschlag 2. Tiefgaragen-Einfahrt Untere Donaulände
April 2019: Brief an den Bürgermeister
Mai 2019: Treffen mit Investor und Bürgermeister
Mai 2019: Pressekonferenz zur Quadrill
Jänner 2021: Treffen mit Bodner Bau
Jänner 2021: Forderung einer Begegnungszone
Februar 2020: Bürger:innenkonsultation in der Tabakfabrik (Teil des 10-Punkte
Hochhausprogrammes der Stadt Linz)
Mai 2021: Ideen für die Ludlgasse - Ideenpostkasten
Juni 2021: Bäume pflanzen für die Ludlgasse
Juli 2021: Straßenfest in der Ludlgasse - Präsentation der Ideen aus dem
Postkasten
August 2021: Verkehrsstadtrat Hein will Bürgerbeteiligungsverfahren für die
Ludlgasse starten (Wahlversprechen)
August 2021: Erste Einsicht in die Pläne beim Magistrat Linz
Oktober 2021: Bauverhandlung Quadrill
Dezember 2021: Juristische Einwände gegen den Baubescheid
Jänner 2022: ORF Bericht zu Großprojekten und Verkehrssituation im
Kaplanhofviertel
September 2022: Verhandlung am Landesverwaltungsgerichtshof OÖ - UVP Pflicht des Bauprojekts?
Oktober 2022: Land OÖ leitet Ermittlungen zur UVP-Pflicht ein.
Jänner 2023: Ergebnis LVGH OÖ: Quadrill ist nicht UVP-pflichtig. Das Ergebnis
erfährt die Initiative aus den Medien.
Februar 2023: Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof in Wien
Ein paar Zahlen:
Über 600 Unterschriften in einer Petition
Regelmäßige Anrainertreffen - bisher 15, in der Regel 20-50 Personen anwesend.
2 große Informationsveranstaltungen: “Infoabend in der Tabakfabrik” und “Bürger:innenkonsultation” (über 100 Anrainer waren anwesend).
4-6 Treffen mit dem Bürgermeister und dem Investor
zahlreiche Medienberichte, posts und 932 Follower auf Facebook
zig Telefonate mit allen Linzer Parteien, Politikern und Experten
eine Bauverhandlung und Verhandlung am Landesverwaltungsgerichtshof OÖ
Brita Piovesan ist Sprecherin der Bürgerinitiative "Tabakfabrik - wir reden mit". Darüber hinaus engagiert sie sich seit 2020 für Linzplus.
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Autorin: Brita Piovesan
8.2.2022
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